WiWi Gast schrieb am 01.08.2023:
Solche Aussagen wie "Das kann man nicht ohne professionelle Hilfe überwinden" sind nicht zielführend. Die Psyche des Menschen ist unglaublich facettenreich und kann auf unterschiedlichste Art und Weise reagieren. Wenn beispielsweise jemand nur mal wen zum reden bräuchte, oder Ausgleich durch zwei mal Sport in der Woche, dann könnte das schon den "Durchbruch" zu mehr Lebensqualität und geistiger Gesundheit bedeuten. Wenn man dem jetzt vorschreibt "Vergiss es, du musst dir professionelle Hilfe suchen, das geht NUR so", dann setzt man diese Person möglicherweise so unter Druck, dass alles nur noch schlimmer wird. Ich würde mir also wünschen, dass du bei dem Thema einfach etwas sensibler wirst.
Das hier ist eine sehr gefährliche Aussage. Denn offensichtlich vermischst auch du hier Depressionen mit Verstimmungen. Wenn du dich auf letzteres beziehst, hast du auch recht, und es ist natürlich richtig, sinnvoll und notwendig, dass es auch solchen Leuten besser geht, und wenn das mit Sport und Reden getan ist, ist das super und dann muss man nicht zur Therapie. Aber wenn das alleine schon hilft, dann hatte die Person offensichtlich keine Depression. Und das in einem Thema zu Depressionen so undifferenziert wie in deinem Beitrag über einen Kamm zu scheren, ist Teil des Problems.
Ja, es kann sein, dass sich jemand Depressionen selbst attestiert und vielleicht nur seine Lebensweise ändern muss. Aber es kann eben auch durchaus auch sein, dass diese Person tatsächlich Depressionen hat. Und bei Depressionen ist insbesondere eine Eigenschaft sehr häufig sehr stark: Das Gefühl, nichts wert zu sein und möglicherweise auch, keine Hilfe in Anspruch nehmen zu dürfen. Es gibt immer jemanden, dem es schlechter geht, und vielleicht kann man es ja doch irgendwie selber hinbekommen - diese Gedanken sind bei einer Depression allerdings sehr gefährlich, denn je später man sich Hilfe sucht, desto größer die Gefahr, die Lebensqualität nie wieder zu finden oder sogar daran zu sterben.
Ja, vielleicht "verschwendet" man Ressourcen, wenn man jetzt jede Person zur Therapie schickt, obwohl sie vielleicht nur mal mehr Sport machen müsste. Aber eine Person, die dir sagt, sie hat Depressionen und fragt, was sie dagegen tun kann, vom Grunde nicht ernst zu nehmen und zu sagen "dir gehts gerade einfach nicht so gut, du musst bestimmt nur mehr rausgehen", kann ungemein schädliche Auswirkungen haben.
Du sagst es schon selber, und kommst doch zum falschen Schluss - ja, die Psyche ist ungemein facettenreich. Und gerade deswegen sollte man als Laie nicht irgendwelche Tipps und Verharmlosungen von sich geben. Im schlimmsten Fall verfängt sich die Person erneut im Gedankenkreisel à la "so schlecht gehts mir noch nicht, vielleicht gebe ich mir nur nicht genug Mühe" bis zum Suizid. Und dieser Worst Case ist in meinen Augen sehr viel schlimmer als möglicherweise zu zu vielen Personen zu sagen, sie könnten es nicht ohne professionelle Hilfe schaffen. Wer sich selber hinstellt und sagt, er vermutet er hat Depressionen, obwohl er nur bisschen was ändern müsste, ist dann diese ernste Hilfestellung "selber schuld". Und ja, wir haben begrenzte Therapieplätze, und es ist doof, wenn dann Personen, die keine professionelle Hilfe bräuchten, anderen den Platz "wegnehmen". Aber weißt du, was passiert, wenn man so gegenüber einer depressiven Person argumentiert? Sie holt sich keine Hilfe. Es ist nicht an dir als außenstehende, ungelehrte Person, die Therapieplätze für Hilfsbedürftige zu schützen, wenn du Hilfsbedarf selber nicht erkennen kannst.
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